Als Pedro Castillo 2021 Präsident von Peru wurde, hatte das durchaus historische Symbolkraft: Zum 200. Jubiläum der peruanischen Unabhängigkeit wurde kein Mitglied der urbanen Hauptstadtelite Präsident, sondern ein Dorfschullehrer und Gewerkschafter aus den Anden, ohne irgendwelche Bezugspunkte zu Limas Machtstrukturen.

Außerdem hatte Castillo für eine Partei kandidiert, die sich selbst als marxistisch-leninistisch bezeichnet und im Wahlkampf mit einem Parteiprogramm aufwartete, das vollgepackt mit sozialistischen Symbolen und Floskeln aus einem gänzlich anderen Jahrzehnt zu stammen schien. (Übrigens fanden sich im ganzen Programm null Hinweise auf die Person Castillo, dafür aber umso mehr auf den umstrittenen Parteivorsitzenden Vladimir Cerrón.)

Linke Politik hat in Peru keinen guten Stand

Der Sieg eines solchen Kandidaten in Peru war auch deshalb so erstaunlich, weil linke politische Positionen es dort generell nicht leicht haben; ein Großteil der Politik wird von rechtskonservativen bis -extremen Positionen gestaltet.

Das hängt zum Teil wohl mit Perus Terrorismuserfahrung um den Leuchtenden Pfad zusammen, der sich in den späten 60er Jahren von der Kommunistischen Partei Perus abspaltete und sich ideologisch auf den Marxismus-Leninismus (als »leuchtenden Pfad« zur Revolution) sowie den Maoismus berief.
Vor diesem Hintergrund sind linke Positionen in Peru bis heute kaum salonfähig und werden häufig verunglimpft, indem ihnen Nähe zum Terrorismus unterstellt wird. Eine Rhetorik, für die es zumindest im peruanischen Spanisch sogar ein eigenes Verb gibt – »terruquear«. Das musste z.B. die linksprogressive Kandidatin Verónika Mendoza über sich ergehen lassen.

Warum es trotz dieser Umstände ausgerechnet der Kandidat einer so radikalen Partei ins Präsidentenamt schaffte, wäre an sich schon den ein oder anderen Blogartikel wert. Der Hauptgrund war zweifellos Castillos Gegnerin in der Stichwahl: Keiko Fujimori, Tochter des (damals noch) inhaftierten ehemaligen Diktators Alberto Fujimori, gegen die selbst ein Korruptionsverfahren lief. Es war Keiko Fujimoris dritte Kandidatur.

Präsidentschaftswahl 2021: Ein langer und schmutziger Wahlkampf

Der Wahlkampf bis zur Stichwahl (die in Peru elend lang nach dem ersten Wahlgang liegt) verlief quälend und dreckig. Das Schreckgespenst eines kommunistischen Regimes wurde ebenso beschworen wie die Gefahr eines linken Staatsstreichs. Castillo galt so teilweise selbst traditionellen Gegnern des Fujimorismo (wie Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa) als das größere Übel, sodass sie öffentlich Stellung für Keiko bezogen. (Das ist besonders ironisch, wenn man bedenkt, dass Alberto Fujimori 1992 selbst das Parlament auflöste – »autogolpe«, Selbstputsch.)

Große Teile der peruanischen Presse machten kaum einen Hehl aus ihrer Unterstützung für Keiko. Gleichzeitig spielte Castillo ihr mit einer zumeist schwachen und inhaltsleeren Kampagne so stark in die Hände, dass sein anfangs noch stattlicher Vorsprung zusehends dahinschmolz. Am Ende war es eine gewaltige Zitterpartie, zumal Fujimori ganz im Stile Trumps ihre Niederlage lange nicht anerkennen wollte und das Wahlbetrugs-Narrativ bemühte.
Dass Castillo sich trotz allem gegen Keiko Fujimori durchsetzte – mit ihrer gewaltigen Maschinerie aus politischen Verbündeten –, lud seine Vereidigung umso stärker symbolisch auf: Es war eine fast perfekte David-gegen-Goliath-Geschichte.

Pedro Castillo: Viel Symbolkraft und wenig Konkretes

Und zumindest auf symbolische Gesten verstand sich Castillo am Anfang: Noch während des Wahlkampfs rang er Keiko Fujimori ein Fernsehduell in seinem Heimatort Chota ab, also auch räumlich weit weg vom politischen Machtzentrum Lima.
In Lima ließ er sich dann zwar wie üblich im Parlament vereidigen, sein erstes Kabinett stellte er aber wiederum in einer symbolischen Zeremonie in der Pampa de Quinua vor: ein Ort in den peruanischen Anden, wo 1824 noch eine entscheidende Schlacht für die peruanische Unabhängigkeit geschlagen wurde. In der frühen Phase seiner Amtszeit trug Castillo zudem stets seinen breitkrempigen Strohhut, typisch für seinen Heimatort.

Mit Castillo hatte also der Außenseiter gewonnen, der Mann aus einfachen Verhältnissen mit dem Rückhalt der ländlichen Bevölkerung; der ehrliche, hart arbeitende Dorfschullehrer gegen die korrupte Politikerin der Oberschicht, der auch versprach, mit der Korruption konsequent aufzuräumen – »palabra de maestro«, Lehrer-Ehrenwort.

Ihn als Hoffnungsträger für einen politischen Wandel zu sehen, war erzählerisch insofern zwar verlockend, aber von Anfang an nicht realistisch – auch deshalb, weil er mit seinem gesellschaftlichen Weltbild und beispielsweise xenophoben und queerfeindlichen Ansichten dem rechtsonservativen Lager doch recht nahesteht. Zudem fehlte es Castillo an politischer Erfahrung und Vernetzung. Er hatte wenig Rückhalt in seiner eigenen Partei (die er im Juni 2022 auch schließlich verließ) und ein von anderen Parteien dominiertes Parlament gegen sich. Viele Äußerungen lange nach seinem Amtsantritt klangen, als befinde er sich noch immer im Wahlkampfmodus. Im Wahlkampf hatte es am Ende genügt, dass er eben nicht Keiko Fujimori war, im politischen Alltag sah das schon anders aus.

Castillos Regierung: Kabinette, Korruption und Klassismus

Diskurstechnisch blieb es während seiner Amtszeit kompliziert, denn Castillos Fehltritte waren ein gefundenes Fressen für all jene (meist rechten) Kräfte, die im Präsidentenpalast lieber Keiko Fujimori gesehen hätten als einen Bauern aus den Anden. Fundierte Kritik und gerechtfertigte Bedenken vermischten sich so mit klassistischen und rassistischen Behauptungen, wie sie auch schon im Wahlkampf vorgeherrscht hatten.

Kaum jemand glaubte zu Castillos Amtsantritt im Juli 2021, dass er die vollen fünf Jahre Präsident bleiben würde – viele wetteten, er werde es nicht einmal bis zum Weihnachtsfest schaffen. Da erwies sich Castillo als überraschend zäh, obwohl die politischen Skandalmeldungen gefühlt nicht abrissen und die Posten seines Kabinetts beständig neu besetzt wurden (nach dreizehn Monaten Regierung, im September 2022, hatte Castillo insgesamt 70 Minister*innen benannt). Es zeichnete sich auch bald ab, dass es mit dem konsequenten Kampf gegen die Korruption nicht allzu weit her war – zumindest wurden auch gegen Castillo selbst zuletzt immer mehr Vorwürfe laut.

Am 7. Dezember 2022 wollte Castillo nun einem (und nicht dem ersten) Amtsenthebungsverfahren des Parlaments zuvorkommen und erklärte kurzerhand, er löse das Parlament auf. Nun gibt es in der peruanischen Verfassung durchaus Umstände, die dem Präsidenten dieses Recht einräumen – die waren aber aktuell nicht gegeben und Castillos Aufruf zynischerweise genau der Staatsstreich, dessen Schreckgespenst im Wahlkampf so ausgiebig bemüht worden war.

Ein Staatsstreich wird zur Farce

Aufgrund des klaren Verfassungsbruchs verpuffte das Ganze reichlich unspektakulär, denn auf politischen oder gesellschaftlichen Rückhalt konnte Castillo nicht hoffen. Seine Minister*innen traten nacheinander zurück, Polizei und Streitkräfte stellten sich auf die Seite des Parlaments, das die geplante Abstimmung nun erst recht durchführte und erstmals die notwendige Mehrheit erzielte: Pedro Castillo wurde als Präsident abgesetzt und kurz darauf im Zentrum von Lima festgenommen.

Schon für sich genommen wäre ein Staatsstreich bitter genug. In diesem Fall ist er es umso mehr, weil Castillo damit genau das getan hat, wovor populistische Stimmen noch im Wahlkampf Angst schürten, und diesen Ressentiments so neuen Nährboden verschafft: »Wir haben’s euch doch gesagt.« Wahlkampf und Castillos Amtszeit haben zwar bereits gezeigt, dass Rassismus, Klassismus und »terruqueo« ohnehin zum Einsatz kommen, doch die konkrete Castillo-Erfahrung wird vermutlich aggressiv instrumentalisiert werden, um all das noch zu verschärfen. Für politische Akteur*innen, die eben nicht aus dem urbanen und sozial weißen Machtzentrum (sowie dem rechten Spektrum) stammen, dürfte es somit noch schwieriger werden, sich einen nachhaltigen Raum zur politischen Mitgestaltung zu erstreiten.

Wie geht es in Peru weiter?

Ein weiterer Punkt: Das Parlament, dem nun endlich Castillos Amtsenthebung gelang, steht zumindest kurzzeitig nun auf der »guten« Seite, schließlich ist es gegen einen Putsch vorgegangen. Dabei sind Korruption und Kriminalität auch unter den Abgeordneten gang und gäbe, das Parlament hat in der öffentlichen Wahrnehmung einen miserablen Ruf und war 2020 selbst die Institution, die für einen Staatsstreich sorgte.

Letztlich steckt Perus politisches System schon lange in einer ganz grundsätzlichen Krise, aus der es keinen einfachen Ausweg zurück in die Stabilität gibt.

Wenige Stunden nach Castillos Absetzung ist übrigens seine Vizepräsidentin Dina Boluarte vereidigt worden – als erste Präsidentin Perus (und das nach über 200 Jahren und als 131. Amtsinhaberin). In ihrer Antrittsrede betonte Boluarte, dass auch sie aus einfachen Verhältnissen stammt und in der andinen Region Apurímac geboren wurde – weit weg von Lima. Symbolkraft hat ihre Vereidigung also schon einmal, aber ob das diesmal ausreicht?

 

 

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Cookies. Sie können die Verwendung von Cookies in Ihrem Browser deaktivieren. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen